Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge mahnt zu raschen Reformen
Die OAK BV hat im Mai neben ihrem jährlichen Tätigkeitsbericht die aktuellen Zahlen zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen vorgelegt. Sie zieht zudem Bilanz zehn Jahre nach Inkrafttreten der BVG-Strukturreform und ihrer eigenen Gründung.
Die finanzielle Lage der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen hat sich 2021 dank eines sehr guten Anlagejahres weiter verbessert. Diese erzielten eine durchschnittliche Netto-Vermögensrendite von 8.0% (Vorjahr: 4.4%). Die ausgewiesenen Deckungsgrade erreichten per Ende 2021 mit durchschnittlich 118.5% (gegenüber 113.5% Ende 2020) einen neuen Höchstwert, wie die OAK BV berichtet. Sie sorgt in Zusammenarbeit mit den regionalen Aufsichtsbehörden und den Fachverbänden der zweiten Säule für eine erhöhte Transparenz und Qualitätssicherung in der beruflichen Vorsorge.
Verzinsung der Vorsorgekapitalien war hoch
Die aktiv Versicherten erhielten für 2021 mit durchschnittlich 3.69% bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung sowie mit 3.08% (Vorjahr: 2.10%) bei den Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie eine deutlich höhere Verzinsung ihrer Vorsorgekapitalien als im Vorjahr (1.84%). Das obligatorische BVG-Altersguthaben war im Berichtsjahr mit mindestens 1.00% (Vorjahr: 1.00%) zu verzinsen. Durch die höhere Verzinsung der Guthaben kam es 2021 praktisch zu keiner Umverteilung von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden.
Umverteilung fiel geringer aus
Der für das Jahr 2021 geschätzte Wert der Umverteilung beträgt 0,2 Milliarden Franken (Vorjahr: 4,4 Milliarden Franken). Die OAK BV erwartet, dass die jährliche Umverteilung auch künftig tiefer als der aktuelle Fünfjahresdurchschnitt von 4,7 Milliarden Franken ausfallen wird. Tatsächlich wurden jedoch gemäss Schätzungen der OAK BV allein von 2014 bis 2021 insgesamt 45,3 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden umverteilt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Umverteilung bereits vor 2014 ein beträchtliches Ausmass erreicht hatte, findet die OAK BV diese Werte umso bedeutender. Die Solidaritätsmechanismen des BVG-Systems seien damit einseitig strapaziert worden. Die obersten Organe der Stiftungen seien deshalb gefordert, bei künftigen Überschüssen für einen Ausgleich zwischen den unterschiedlich behandelten Jahrgängen zu sorgen.
Für 2022 zeichnen sich negative Entwicklungen ab
Nachdem die Deckungssituation der Vorsorgeeinrichtungen per Ende 2021 im Durchschnitt sehr positiv ausfiel, und mittlerweile bereits 51% (Vorjahr: 30%) der Vorsorgeeinrichtungen ihre Wertschwankungsreserven für Turbulenzen an den Finanzmärkten vollständig aufgebaut haben, zeichnen sich seit Anfang 2022 negative Entwicklungen ab: Einerseits fällt die Inflation inzwischen so stark aus, dass für dieses Jahr weitere Zinsanstiege zu erwarten sind. Andererseits dürften der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland die Inflation erhöhen und negativ auf die konjunkturelle Entwicklung wirken. Gemäss Hochrechnungen der OAK BV, die auf den individuellen Anlagestrategien der Vorsorgeeinrichtungen sowie der effektiven Entwicklung der Anlagemärkte fussen, sank der durchschnittliche Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung von 118.5% per Ende 2021 auf 112.9% per Ende März 2022.
Anpassungen bei den gesetzlichen Vorgaben für das Obligatorium fehlen weiterhin
Zehn Jahre nach Inkrafttreten der BVG-Strukturreform und ihrer eigenen Gründung zieht die OAK BV eine positive Bilanz. Auf finanzieller Ebene seien die Vorsorgeeinrichtungen insgesamt robuster geworden. Die mehrheitlich positiven Nettorenditen hätten die Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen ansteigen lassen. Die Vorsorgeeinrichtungen hätten in dieser Zeit in allen Bereichen Anpassungen vorgenommen, um der gestiegenen Lebenserwartung und dem tiefen Zinsniveau Rechnung zu tragen. Entsprechende Anpassungen bei den gesetzlichen Vorgaben für den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge würden allerdings weiterhin fehlen, kritisiert die OAK BV.
Konzentrationsprozess bei den Pensionskassen hält an
Zwischen 2014 und 2021 hat sich die Zahl der Vorsorgeeinrichtung von rund 2’000 auf 1’500 reduziert, während die Bilanzsumme von rund 800 auf rund 1’200 Milliarden Franken gestiegen ist. Dieser Konzentrationsprozess hat Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen wachsen lassen. Obwohl diese nur 18% der Vorsorgeeinrichtungen ausmachen, sind 72% der aktiven Versicherten bei ihnen versichert. Bei diesen stellen sich für die obersten Organe grosse Herausforderungen im Bereich Governance und finanzielle Stabilität. Viele dieser Einrichtungen sind zudem von ihrer Grösse und Komplexität her vergleichbar mit grossen Versicherungsgesellschaften, die viel strenger reguliert sind.
Aufsichtsinstrumente der OAK BV sind limitiert
Im Gesetz sei dieser veränderten Vorsorgelandschaft bisher nicht Rechnung getragen worden, moniert die OAK BV. Das BVG gehe grundsätzlich vom Modell der Firmen-Vorsorgeeinrichtung aus. Die Aufsichtsinstrumente seien im Vergleich zur Banken- und Versicherungsaufsicht, aber auch zur Aufsicht über die sozialen Krankenversicherer deutlich limitiert. Zudem erschwere das dezentrale Aufsichtssystem mit regionalen Behörden, die bezüglich Kompetenzen und Ressourcen teilweise sehr unterschiedlich aufgestellt seien, die notwendige Weiterentwicklung der Aufsicht im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung. Der Handlungsspielraum der OAK BV sei sowohl gegenüber den regionalen Aufsichtsbehörden als auch gegenüber den Vorsorgeeinrichtungen beschränkt. Sie könne daher die in der Botschaft zur Strukturreform formulierte Zielsetzung, wonach sie sicherstellen solle, dass das System der beruflichen Vorsorge als Ganzes sicher und zuverlässig funktioniere, nur bedingt erfüllen.
Die OAK BV beklagt auch den Stau bei den Reformen des BVG. Das habe dazu geführt, dass Anpassungen in der Aufsicht der beruflichen Vorsorge ebenfalls nicht angegangen worden seien. Es sei nun an der Zeit, auch im Aufsichtsbereich die notwendigen Anpassungen in Angriff zu nehmen.