Ist das Schweizer Vorsorgesystem zukunftsfähig?
Mehr als die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer sehen in der AHV, aber auch in der beruflichen Vorsorge einen hohen Reformbedarf. Knapp 60% wollen, dass parallel zur 1. Säule auch die 2. oder die 3. Säule gestärkt werden.
Gut 52% der Schweizer Bevölkerung finden, die AHV (1. Säule) leide unter einem hohen Reformbedarf. Mit 51.6% sehen fast gleich viele Schweizerinnen und Schweizer in der beruflichen Vorsorge (2. Säule) ebenfalls einen substanziellen Reformbedarf. Nur in der privaten Vorsorge (3. Säule) wird der Reformbedarf als geringer eingeschätzt. Mit fast 60% spricht sich zudem ein Grossteil dafür aus, parallel zur 1. Säule auch die 2. oder die 3. Säule zu stärken. So unterstützen beispielsweise 46.1% der Befragten den Vorstoss, dass auch Geringverdienende in der Pensionskasse versichert werden. Zudem befürworteten 23.7% der Befragten eine Entpolitisierung des Umwandlungssatzes, den Pensionskassen zur Berechnung der Rente anwenden. Wenig Zuspruch mit 3.9% erfährt hingegen die Variante, wonach die berufliche Vorsorge zugunsten eines starken Ausbaus der 1. Säule ganz aufgelöst werden soll. Das geht aus dem Raiffeisen Vorsorgebarometer 2022 (PDF) hervor.
Dazu wurden zwischen dem 13. und dem 24. Juni 1‘006 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren durch das Link-Institut befragt sowie ökonomische Daten analysiert. Während Raiffeisen bei der Erstellung des Vorsorgebarometers die Unternehmer- und Konsumentenperspektive miteinbringt, deckt die ZHAW School of Management and Law den wissenschaftlichen Teil ab.
Höhere Beitragszahlungen erhalten den geringsten Zuspruch
Um das Leistungsniveau in der AHV zu verbessern, werden verschiedene Reformmöglichkeiten diskutiert. Für die Schweizer Bevölkerung scheinen dabei die plafonierten AHV-Renten am brennendsten zu sein: 58.7% wollen die Heiratsstrafe in der AHV abschaffen und Ehepaare in der AHV den Konkubinatspaaren gleichstellen. An zweiter Stelle steht mit 30.3% Zuspruch die Möglichkeit, bei Lücken unbegrenzt Nachzahlungen in die AHV leisten zu können. Um die Finanzierung der AHV auch künftig sicherzustellen, möchten 57.2% der Befragten die Gewinne der Schweizerischen Nationalbank in die AHV einfliessen lassen. Diese Option ist bei Menschen zwischen 51 und 65 Jahren signifikant beliebter als bei jungen Menschen. An zweiter Stelle mit einer Zustimmung von 32.7% folgt eine frühere Beitragspflicht für alle, und zwar ab 18 statt ab 21 Jahren. Höhere Beiträge vonseiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber erhalten mit 15.7% hingegen den tiefsten Zuspruch.
Viele Männer befürworten das Rentenalter 65 für Mann und Frau
76.5% der Befragten plädieren für eine Neuregelung des Rentenalters. An erster Stelle liegt mit 35.8% Zuspruch (von beiden Geschlechtern) das Rentenalter 65 für Mann und Frau. Dabei unterscheiden sich die Antworten der befragten Männer und Frauen signifikant: Während 41.5% der Männer die Anpassung auf das Rentenalter von 65 Jahren für Mann und Frau befürworten, stimmen nur 30.0% der Frauen dem Vorschlag zu. Nur gerade 13.4% der Männer wollen den Status Quo mit dem Rentenalter 65 für Männer und Rentenalter 64 für Frauen behalten. Bei den Frauen sprechen sich 28.6% für die jetzige Regelung aus. 29.1% stimmen einem flexiblen Rentenalter zu, wobei sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen lassen.
Viele Vorsorgesparen achten zu wenig auf die Inflation
Die gestiegene Inflation und die Entwicklungen an den weltweiten Finanzmärkten im ersten Halbjahr 2022 belasten das Vorsorgesystem. Entsprechend macht sich mit 27.0% ein signifikant höherer Teil der Bevölkerung als letztes Jahr (22.8%) Sorgen, dass wegen sinkender Rentabilität der Vorsorgegelder die Leistungen in der persönlichen Altersvorsorge gekürzt werden müssen.
Bei der Frage nach der Absicherung von Vorsorgegeldern gegen die Inflation sind allerdings rund 40% der Bevölkerung überfordert. Das heisst, sie ergreifen entweder keine der aufgeführten Massnahmen oder sie wissen nicht, was sie tun sollen. 36.4% der Befragten belassen die Vorsorgegelder einfach auf dem Konto. Mit einem Wertschriftenkauf wollen sich gerade mal 16.3% absichern, mit dem Erwerb von Wohneigentum 14.3%, und mit dem Kauf von Gold 5.2%.
Gutverdienende sehen Wertschriftenkauf als Teuerungsschutz
Besonders Gutverdienende und Personen mit höherer Bildung sowie Männer sehen den Wertschriftenkauf als Schutz vor der Teuerung. Allgemein hat das Wertschriftensparen mit 40.2% der Befragten einen neuen Höchststand erreicht. Besonders Menschen mit gutem Vorsorgewissen oder höherem Einkommen bevorzugen das Wertschriftensparen in der Vorsorge. Dabei werden traditionelle Wertschriften gegenüber Kryptofonds deutlich bevorzugt: 75.8% der Befragten wollen keine Kryptowährungen in ihren Vorsorgelösungen.