Bundesrat verabschiedet neue Verordnungen zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge
Die neuen gesetzlichen Regeln in der berufliche Vorsorge sind festgelegt: Neben einem gestärkten Aufsichtssystem sollen damit Governance und Transparenz verbessert und mehr Unabhängigkeit geschaffen werden. Kritiker sehen vor allem die Kosten.
Der Bundesrat hat die Umsetzungsbestimmungen auf Verordnungsebene verabschiedet: Die bisherige Verordnung über die Beaufsichtigung und die Registrierung der Vorsorgeeinrichtungen (BVV1) wird aufgehoben. An ihrer Stelle wird unter dem Titel Verordnung über die Aufsicht in der beruflichen Vorsorge eine neue BVV1 erlassen. Die Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV2) wird teilrevidiert. Zudem wird eine neue Verordnung über die Anlagestiftungen (ASV) geschaffen.
Akteure in der zweiten Säule sollen unabhängig sein
Ein zentrales Postulat der Strukturreform ist die Förderung der Unabhängigkeit der wichtigsten Akteure in der zweiten Säule, wie das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) erklärte. Die heutige Direktaufsicht des BSV über Vorsorgeeinrichtungen mit nationalem oder internationalem Charakter geht deshalb weg vom Bund an verwaltungsunabhängige kantonale bzw. regionale Aufsichtsbehörden.
Die Oberaufsicht wird neu von einer unabhängigen Oberaufsichtskommission wahrgenommen, die ein professionelles Sekretariat erhält. Präsidiert wird die Kommission ab 1. August 2011 von Pierre Triponez. Die Kommission soll ihre operative Tätigkeit aber erst am 1. Januar 2012 aufnehmen. Die Mitglieder der Kommission sollen im Herbst 2011 gewählt werden. Aufgabe der Kommission sei es, für eine einheitliche Aufsichtspraxis und die Stabilität des Systems der zweiten Säule zu sorgen. Die kantonalen Aufsichtsbehörden müssen neu verwaltungsunabhängig in der Form einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestaltet werden.
Governance und Transparenz werden verschärft
Mit der Strukturreform werden die Bestimmungen betreffend Governance und Transparenz im Gesetz (BVG) verschärft. Die Verordnung BVV2 wurde entsprechend angepasst. Neu werden an die Integrität und Loyalität aller mit der Verwaltung einer Vorsorgeeinrichtung oder deren Vermögen betrauten Personen konkrete Anforderungen gestellt. Dazu zählen etwa ein guter Ruf, einwandfreie Geschäftstätigkeit sowie die Vermeidung von Interessenskonflikten. Rechtsgeschäfte, welche die Vorsorgeeinrichtungen mit Nahestehenden abschliessen, müssen offengelegt werden. Vermögensvorteile, die Personen und Institutionen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit für die Vorsorgeeinrichtung von Dritten erhalten, müssen zwingend an die Vorsorgeeinrichtung abgeliefert werden, wenn und soweit sie die vorgängig schriftlich vereinbarte Entschädigung überschreiten. Neben dem sogenannten Front Running wird auch das Parallel- und After Running (Nutzung von Insiderwissen aus der Tätigkeit für Vorsorgeeinrichtungen bei Börsengeschäften) verboten. Die Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten müssen in der Jahresrechnung detaillierter als bisher ausgewiesen werden. Um den Governance-Bestimmungen Nachdruck zu verleihen, wurden auch die Strafbestimmungen im BVG entsprechend ergänzt. Die Aufgaben der Revisionsstelle, des Experten für berufliche Vorsorge und des obersten Organs von Vorsorgeeinrichtungen müssen künftig klarer umschrieben werden.
Anlagestiftungen werden erstmals gesetzlich erfasst
Anlagestiftungen werden durch die Strukturreform erstmals gesetzlich erfasst. Die neue Verordnung über die Anlagestiftungen (ASV) regelt – wie durch das Gesetz aufgetragen – den zugelassenen Anlegerkreis, die Äufnung und Verwendung des Vermögens, dessen Anlage, die Buchführung, die Rechnungslegung und Revision, die Rechte der Anleger sowie organisatorische Aspekte. Die Bestimmungen orientierten sich im Wesentlichen an der heutigen Praxis, wie das BSV erklärte. Beaufsichtigt werden die Anlagestiftungen künftig von der Oberaufsichtskommission.
Übergangsfristen laufen bis Ende 2012
Die Bestimmungen betreffend Transparenz und Governance treten auf den 1. August 2011 in Kraft. Die Vorsorgeeinrichtungen haben laut BSV aber die Möglichkeit, ihre Organisationen und Reglements falls nötig bis Ende 2012 anzupassen. Die Bestimmungen zur Aufsichtsstruktur treten am 1. Januar 2012 in Kraft, wenn die Oberaufsichtskommission ihre operative Tätigkeit aufnimmt.
Anpassungen sind laut BSV breit abgestützt
Die grundsätzlichen Ziele und Inhalte der Strukturreform werden laut BSV von den meisten Akteuren mitgetragen. Die Ausführungsbestimmungen waren jedoch stark umstritten. Die Verordnungen wurden deshalb nach der Vernehmlassung noch einmal substanziell überarbeitet. Die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates und des Ständerates (SGK-S und SGK-N) wurde dazu erneut konsultiert. Aus den Kommissionen habe es am Schluss jedoch keine Empfehlungen für weitere Anpassungen gegeben, wie das BSV erklärte. Die beratende BVG-Kommission sei insgesamt dreimal konsultiert worden und alle Anpassungen hätten schliesslich einhellige oder grossmehrheitliche Unterstützung gefunden.
ASIP mahnt zur Wahrnehmung seiner Interessen
Wie der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP im Nachgang verlauten liess, habe er mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass der Bundesrat – wohl aufgrund der massiven Kritik im Vernehmlassungsverfahren – Korrekturen vorgenommen habe. Allerdings fehle für einige Bestimmungen nach wie vor die gesetzliche Grundlage. Auch müsse sich zeigen, ob die vorgesehenen Kontrollmassnahmen mehr als nur Beruhigungspillen seien. Ausgangspunkt für die ursprünglichen Vorschläge sei ein vermuteter Vertrauensverlust der Bevölkerung in die zweite Säule gewesen. Eine am 6. Mai veröffentlichte, repräsentative Umfrage des ASIP zeige jedoch, dass die Versicherten ihren Pensionskassen und der zweiten Säule vertrauten. Sie zeige freilich auch, dass die Versicherten einen grossen Teil der kostensteigernden Verordnungsvorschläge zur Strukturreform ablehnen würden. Der ASIP nehme die Wahl des Präsidenten für die neu zu bildende Oberaufsichts-Kommission zudem zur Kenntnis. Er erwartet von dieser Kommission jedoch die Sicherstellung einer einheitlichen Aufsichtspraxis und eine Anhörung der interessierten Kreise bei der Ausarbeitung der für die Aufsichtstätigkeit notwendigen Standards.
Treuhandkammer sieht höheren Prüfungsaufwand, hält Regelungen aber für umsetzbar
Die Schweizerische Treuhand-Kammer, die erhebliche Kritik an den Vorlagen zu den Verordnungen zur Strukturreform geäussert hatte, zeigt sich in einer ersten Stellungnahme sehr zufrieden mit den vorgenommenen Änderungen. Wie sie schreibt, hatte sie sich in ihrer umfassenden und begründeten Vernehmlassungseingabe auf elf Bestimmungen fokussiert, welche die Arbeit der Revisionsstellen beträfen. Dazu gehörten etwa die flächendeckende Einführung eines internen Kontrollsystems, die Übertragung von Führungsaufgaben an die Revisionsstellen oder das Verbot von Dauerverträgen mit Nahestehenden. Ferner hatte die Treuhandkammer von einer überstürzten Inkraftsetzung abgeraten. Wie die Kammer nun festhielt, habe der Bundesrat der Kritik in allen elf Punkten Rechnung getragen. Die nunmehr definitiven Regelungen würden den Prüfungsumfang jedoch eindeutig ausweiten, respektierten aber die gesetzliche Funktionentrennung und seien in der vorgesehenen Weise für alle Beteiligten umsetzbar.
Anlagestiftungen sind erleichtert
Die Konferenz der Geschäftsführer von Anlagestiftungen (KGAST) hat gemäss einer Mitteilung erleichtert festgestellt, dass viele der von den Anlagestiftungen eingereichten Verbesserungsvorschläge in den neuen Bestimmungen berücksichtigt worden seien. So seien etliche Regelungen, die viel zu weit gegangen wären, weggefallen und praxisferne Regelungen seien angepasst worden. Die ASV bewirke zudem, dass die neu zu bildende Oberaufsichtskommission die bisherige Praxis des BSV in grossen Teilen fortführen werde.
Sammelstiftungen sind verärgert
Anders präsentiert sich die Lage für Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen. So dürfen für die Leistungsverbesserungen höchstens 50% des Ertragsüberschusses vor Bildung der Wertschwankungsreserven verwendet werden und die Wertschwankungsreserven müssen zu mindestens 75% ihres Zielwertes geäufnet sein (BVV 2, Art 46). Wie eine Umfrage bei verschiedenen Sammelstiftungen durch die «Schweizer Personalvorsorge» ergeben hat, stösst dieser Passus bei den Betroffenen auf wenig Begeisterung. So wird der Art. 46 generell als überflüssig und als unnötige Einschränkung der Autonomie des obersten Organs betrachtet. Auch wird die Grenze von 75% der Wertschwankungsreserven als zu starr beurteilt. Sie trage den unterschiedlichen Ansätzen der Vorsorgewerke nicht genügend Rechnung und wirke zufällig. Es wurde zudem die Frage aufgeworfen, ob der Art. 46 BVV 2 eine gesetzliche Grundlage habe. Er könne sogar im Widerspruch zu Art. 51a lit. b BVG stehen, der festlege, dass das oberste Organ für die Festlegung des Leistungsziels verantwortlich sei. Die Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen befürchten, dass mit dieser Sonderregelung neben Versicherungen und autonomen Pensionskassen eine weitere Klasse von Pensionskassen geschaffen werde.